Hinflug verpasst? Und Mitnahme auf dem Rückflug verweigert?

Das Problem mit dem „Cross-Ticketing“

Es ist schon ärgerlich genug: Da verpasst man trotz langer Planung einer Urlaubsreise den Hinflug, muss eventuell noch Kosten für einen Ersatzflug ausgeben und erreicht seinen Urlaubsort später als ursprünglich vorgesehen. Wird dem Reisenden aber nun auch noch die Beförderung auf dem Rückflug verweigert, dürfte dies nur noch auf Unverständnis stoßen und die Frustration steigern.

Bei einer Flugreise mit mehreren Flugabschnitten (Segmenten) oder einer noch nicht angetretenen Rückreise stellt sich die Frage, ob und inwiefern sich der Nichtantritt einer Teilstrecke (Hin- oder Zubringerflug) auf die übrige Flugreise (Rück- oder Anschlussflug) auswirkt. Zum Beispiel könnte bei einer Flugreise mit einem Hin- und Rückflug auf der Strecke München – Los Angeles bei einem nicht wahrgenommenen Hinflug die Mitnahme auf dem Rückflug verweigert werden, obwohl sich der Fluggast eingefunden und alle Beförderungsbedingungen erfüllt hat. Oder es könnte vorkommen, dass bei Verpassen eines Zubringerfluges nach Amsterdam trotz rechtzeitigen Erscheinens am Flughafen der Weiterflug auf dem zweiten Segment nach Madagaskar durch die Fluggesellschaft unter Verweis auf ihre Allgemeinen Beförderungsbedingungen („ABB“) nicht erlaubt wird.

Denn in der Vergangenheit hatten Fluggesellschaften in ihren ABB des Häufigeren die Nutzung der verbliebenen Flugsegmente untersagt, wenn der Flugschein nicht in der richtigen „Coupon-Reihenfolge“ abgeflogen wurde. Demnach sollte ein gebuchter und schon bezahlter Rück- oder Weiterflug verfallen, wenn der Reisende den Hinflug bzw. den ersten Flug nicht antritt. Hintergrund für eine derartige Regelung in den ABB der Flugunternehmen ist die Vermeidung der bewussten Umgehung der Tarifstruktur durch sog. Cross-Ticketing (oder Überkreuzbuchen). Fluggesellschaften bieten bei einer einheitlichen Buchung Hin- und Rückflüge mit einem längeren Zwischenaufenthalt häufig günstiger an, als einfache Flüge („One Way“) oder Flugreisen mit kurzen Aufenthalten an (Geschäftsreisen). Auch können meist Flugreisen mit mehreren Umsteigeverbindungen billiger angeboten werden als Direktverbindungen. Solche Angebote eröffnen den Flugunternehmen die Möglichkeit, geringeren Preiserwartungen am Abflugort des Zubringerflugs gerecht werden zu können. Diese Erwartungen können aus unterschiedlichen Preisniveaus an einzelnen Abflugorten resultieren, ergeben sich häufig aber schon daraus, dass eine Umsteigeverbindung nur dann gebucht wird, wenn diese günstiger ist als eine Direktverbindung. Bei dem sog. Cross-Ticketing buchen nun Reisende bewusst einen Hin- und Rückflug oder eine Umsteigeverbindung zu einem günstigeren Preis mit der Absicht, von vornherein nur einen der Flüge in Anspruch zu nehmen. Durch bestimmte Regelungen in den ABB versuchen Fluggesellschaften diesem für sie wirtschaftlich ungünstigen Vorgehen einen Riegel vorzuschieben.

Der BGH hat aber in seinem Urteil vom 29.04.2010 klargestellt, dass derartige Klauseln die Passagiere unangemessen benachteiligen (BGH, Urteil vom 29.04.2010, Xa ZR 5/09, Rn. 31). Bei Nichtinanspruchnahme einer Teilstrecke im Rahmen einer aus mehreren Flugstrecken bestehenden Beförderungsleistung erlösche nicht der gesamte Leistungsanspruch. Denn nach Allgemeinen Grundsätzen sei der Gläubiger grundsätzlich berechtigt, auch nur einen teilbaren Teil der ihm vertraglich zustehenden Gesamtleistung vom Schuldner zu fordern. Ausgeschlossen hiervon seien lediglich Fälle treuwidrigen Verhaltens, beispielsweise wenn ein Reisender tatsächlich ein bestimmtes Flugsegment nur zur Umgehung der Preisgestaltung buche und aus diesem Grund nicht in Anspruch nimmt. Wenn der Fluggast sich allerdings beispielsweise lediglich aufgrund eines nachträglich veränderten Terminplanes sich bereits in der Nähe des Umsteigeflughafens befinde oder den Zubringerflug verpasse, sei kein treuwidriges Verhalten anzunehmen, dass eine Nichtbeförderung auf dem zweiten Flugsegment rechtfertige.

Zur Verhinderung von Cross-Ticketing sieht der BGH die Fluggesellschaften allerdings nach den Grundsätzen der Vertragsfreiheit legitimiert,  für die Inanspruchnahme des Weiter- oder Rückfluges Mehrkosten zu erheben. Er erachtet in derartigen Fällen die Möglichkeit der Nachkalkulation des Ticketpreises ausdrücklich als zulässig an (BGH, Urteil vom 29.04.2010, Xa ZR 5/09, Rn. 35). Dies hat zur Konsequenz, dass Reisende die ihren Zubringer- oder Hinflug nicht wahrnehmen konnten, zwar auf dem Anschluss- bzw. Rückflug befördert werden müssen, aber eventuell die Differenz zum tagesaktuellen Preis für diese Strecke zahlen müssen. Ob die Höhe der Nachzahlungskosten für den Anschluss- oder Rückflug unter den Umständen des Einzelfalls aber letztendlich noch verhältnismäßig ist, kann nicht pauschal beantwortet werden.  

Sollte dem Passagier auf dem Anschluss- oder Rückflug durch die Fluggesellschaft dennoch die Beförderung verweigert werden, ohne dass eine Mitnahme mit einer Ticketnacherhebung angeboten wird, könnten Ansprüche aus der europäischen Fluggastrechte-Verordnung (EG) Nr. 261/2004 („VO“) in Betracht kommen. Zudem empfiehlt es sich, nachzuprüfen, ob tatsächlich eine Nichtbeförderung (bzw. vertretbare Gründe) auf dem Zubringer- oder Hinflug vorgelegen hat. Grundsätzlich sieht die VO bei einer sogenannten Nichtbeförderung gegen den Willen der Flugreisenden neben einer Ausgleichsleistung umfassende Betreuungsleistungen und wahlweise eine kostenfreie Alternativbeförderung oder die Erstattung der Flugscheinkosten vor. Eine Nichtbeförderung im Sinne der VO liegt immer dann vor, wenn sich eine Fluggesellschaft weigert, Fluggäste zu befördern, obwohl diese über eine Buchungsbestätigung verfügen und sich rechtzeitig am Flugsteig eingefunden haben. Einer Nichtbeförderung können vertretbare Gründe entgegenstehen, deren Ursachen aus der Sphäre des Fluggastes herrühren, wie z.B. Gesundheitsgefährdungen, Sicherheitsrisiken oder unvollständige Reiseunterlagen. Die Einhaltung der Beförderungsbedingungen und Einreisebestimmungen fällt grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Fluggäste. So kann es durchaus vorkommen, dass den Reisenden in dieser Situation kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung oder eine Ticketerstattung zusteht, da sie die Beförderungsverweigerung zu vertreten haben.

Da gerade im Bereich von Flugreisen mit mehreren Flugsegmenten die Frage nach einer Entschädigung oder einer Ticketerstattung aufgrund der vorgenannten Konstellationen häufig unterschiedlich zu beantworten ist und letztendlich von mehreren Faktoren abhängt, erscheint eine juristische Überprüfung im Streitfall geboten.

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